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18.08.2021


Afghanistan, Krieg, Menschen, die um ihr Leben fürchten, sind in aller Munde – auch hier am Flughafen. Tag und Nacht landen Flugzeuge mit flüchtenden Menschen – Deutschen und Afghanen. Letztere kommen ins Ungewisse. Aber sie alle gehören zum Fazit eines sog. „Friedenseinsatzes“, das beschämender nicht sein kann. Aus christlicher Sicht seien uns einige grundsätzliche Gedanken erlaubt, die wir dem Kommentar von Dr. Peter Neuhaus (s. facebook: "Theologie in Leben & Gesellschaft") entnehmen:

Jesus in Kabul – eine Vermisstenanzeige

Afghanistan zeigt einmal mehr die absolute Sinnlosigkeit des Krieges: Rund 100.000 Tote und etwa eine Billion US-Dollar hat dieser Krieg gekostet. Sein Resultat ist gleich Null. Die Politik gibt sich zerknirscht, ja überrascht.

Doch die Überraschung der Verantwortlichen ist pure Heuchelei. Der Krieg löst kein einziges Problem – niemals. Die Pflicht der Theologie ist es, die politische Heuchelei als das zu entlarven, was sie theologisch ist: strukturelle Sünde. Aus ihren eigenen biblischen Quellen hat sie den Nachweis der unbedingten Ächtung des Krieges als Mittel zur Erreichung politischer Zielsetzung zu führen.

Es gibt kein realistischeres Buch als die Bibel. Sie redet Klartext: Die Logik der Welt ist tödlich. Ihr Codewort heißt „Krieg“. Dieses Wort taucht erstmals bereits in Genesis 14,1f auf: „Damals führten Amrafel, der König von Schinar, … und Tidal, der König der Völker, Krieg gegen …“ Zum ersten Mal in der Gottesgeschichte also herrscht Krieg. Und schon bei diesem ersten Mal ist alles beisammen, was unsere Welt seither wie kaum etwas anderes kennzeichnet: Freunde und Feinde, Herrschende und Untertanen, Getreue und Abgefallene, Verfolgung, Flucht und Sieg und Tod… das ganze grauenhafte Vokabular des Krieges. Friede ist seither die Ausnahme, Krieg die Regel. „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Heraklit).

Es gibt einen, der der tödlichen Logik des Krieges widerstand: Jesus von Nazareth. Über ihn schrieb der Theologe und Dominikaner Tiemo R. Peters: „Er war der unwahrscheinlichste Mensch überhaupt, der sich traute, das eingefleischteste Verhaltensmuster zu durchkreuzen: das (…) von Freund und Feind. Jesus löste diesen Urgegensatz auf, der die menschliche Geschichte bestimmte und bis heute bestimmt. (…) Er war, um es zu konkretisieren, der Bergprediger, der Prediger dieser selbst noch einmal ungeheuerlichsten und gewaltigsten Predigt aller Zeiten. (…)

Die zeitgenössische Bedeutung der Bergpredigt und des Bergpredigers liegt für mich auf der Hand. Wieder sind wir, womit jede wissenschaftlich-aufklärerische Prognose über Bord geworfen ist, von Freund-Feind-Gegensätzen bestimmt, welche die Geschichte explodieren lassen könnten. Dass es in solchen apokalyptischen Zeiten nicht genügt, die Bergpredigt nur brav aufzusagen und auszulegen, sondern dass es Prediger wie Gandhi braucht und größerer, dürfte klar sein. Aber das ‚Ohr der Menschheit‘, weiterhin ‚mit dem kleinen Lauschen beschäftigt‘ (Nelly Sachs), hört nicht. Erneut häufen die Menschen lieber Kreuz auf Kreuz, als sich zu ändern.“ (Peters, in: Peters/Neuhaus, Glauben ohne Geländer – ein Gespräch am Rande des Lebens, Leipzig 2019, S. 27f)

Kann man mit der Bibel unter dem Arm Politik machen? Angesichts der weltpolitischen Blamage dieser Tage dürfte die Antwort klar sein: Wie denn sonst? Doch wird sich absehbar nichts ändern: „Jesus bleibt der unwahrscheinlichste aller Menschen.“ (Peters, ebd.)

Was uns am Flughafen bleibt: Um Frieden beten, Gastfreundschaft pflegen über religiösen Grenzen hinweg, Begegnungen suchen, im Gespräch bleiben, durch Wort und Tat versuchen, „den Nachweis der unbedingten Ächtung des Krieges als Mittel zur Erreichung politischer Ziele zu führen“ – auch mit der Bibel unter dem Arm!

P. Heinz Goldkuhle SAC

Das Foto rechts zeigt ein Triptychon der Ausstellung "Keine Gewalt" des Ökumenischen Arbeitskreises Prenzlauer Berg, basierend auf dem Gemälde "Die Bergpredigt" von Carl Heinrich Bloch (1877), grafische Bearbeitung Jürgen Frölich.